Ausstellung "Busenwunder" in der Schmiede Wettig
Der Titel der Ausstellung "Busenwunder" ist ein Begriff der 50er Jahre.
Er ist entstanden in Anlehnung an das in Deutschland bekannte "Wirtschaftswunder"
"Busenwunder - Wirtschaftswunder" .Das Kunstwort "Busenwunder" steht in seinem ursprünglichen Zusammenhang für das Phänomen eines damals neuen Typus weiblicher Filmstars mit den entsprechenden anatomischen Merkmalen.
Ich denke an die Schauspielerinnen wie Jane Mansfield, Brigitte Bardot oder Marilyn Monroe.
Eine Wortschöpfung, die zwei Begriffe aus verschiedenen Bedeutungszusammenhängen in merkwürdiger Weise vereint. Der Reiz von "Busenwunder" -und hier weisen sogar die prüden 50er Jahre eine gewisse Ironiefähigkeit auf - basiert auf der scheinbaren Spannung zwischen zwei unterschiedlichen Bedeutungsfeldern. Auf der einen Seite der mit dem katholischen Glauben und Aberglauben assoziierte Begriff des Wunders. Er ist schlechthin Beweis für die göttliche Unfassbarkeit einer der Natur widersprechenden Begebenheit. Das Wunder -und hier ging die Kirche systematisch vor - musste durch Zeugen belegt sein. Der andere Teil des Wortes besteht hingegen in dem wunderbaren einfachen und dinglich fassbaren Begriff für das sichtbarste Merkmal der Weiblichkeit : dem Busen. Ein einfaches, die Skulptur und Malerei aller Epochen bewegendes Motiv. Und dafür gab es immergenügend Zeugen.
Die ausgestellten Skulpturen sind themengebundene Darstellungen oder Assoziationen an die weibliche Brust. Das Motiv kommt sowohl vereinzelt als auch vervielfältigt vor. Alle Skulpturen zeigen die Brust oder Brüste als vom Körper losgelöst, verselbstständigt.
Anatomische Trennung, monströse Eigenständigkeit, kultische Assoziationen oder designte Weiblichkeit? Auf den ersten Blick bietet die Ausstellung eine Vielheit von Brüsten in verschiedenen Formvariationen. Als vervielfältigtes Motiv lässt sich der Busen besonders zu einer kultischen Figur in Beziehung setzen. Es ist die vielbrüstige kleinasiatische Fruchtbarkeitsgottheit, die Diana Ephesia. Ihr Oberkörper ist über und über mit Brüsten bedeckt.
Seit der Renaissance wurde die Diana Ephesia in Italien als Thema wiederentdeckt. Dort wie in Frankreich wurde sie als Allegorie der Natur gedeutet. Wegen ihres Symbolgehalts wurde sie von verschiedenen naturphilosophischen Strömungen der Renaissance und später der Aufklärung beansprucht.
Andere Bezüge lassen das Motiv der Brüste im Bereich Nächstenliebe erscheinen. So etwa bei der Caritas, die oft als stillende Frau gezeigt wurde. Auf diese Thematik verweist auch das Interesse der Künstlerin an einem alten Frauenberuf. Ein Interesse, das während eines Stipendiums in Burgund entstand, wo früher in großem Ausmaß Ammen, die sogenannten Nourrices, ausgebildet wurden. Vieldringlicher als beim überhöhten Motiv der Nächstenliebe steht hier der zwingendermaßen weibliche berufliche Einsatz der nährenden Brust. Die Brust ist das Organ der Säuglingsernährung. Sie steht in der Kunst oft für Mutterliebe - so auch bei der Madonna mit dem Jesusknaben.
Geschlecht, Natur, Mutterliebe bei der Betrachtung dieser Begriffe sollte nicht vergessen werden, dass sie in einer vieltausendjährigen Geschichte der Symbole von Männern geprägt wurden.
Es wäre wohl an der Zeit die Assoziationen der Künstlerin zu berücksichtigen.
Ute Thiel führt ihre Inspiration auf verschiedene Quellen zurück. Zum Teil stehen sie mit den oben genannten symbolischen Darstellungen in Verbindung. Dazu gehört zum Beispiel ihre persönliche Entdeckung der künstlerischen Ausstrahlung von Brustfetischen in Antikensammlungen. Ebenso anregend waren volkstümliche Ex-Voto-Reliefs von durch ein "Wunder" geheilten Brüsten. Einflüsse auf die Arbeit von Ute Thiel sind aber
nicht nur im Bereich historischer Themen und Symbolik zu suchen. Eine wichtige Rolle spielten auch Werke zeitgenössischer Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, der Performance-Künstlerin Pat Olechinsky, Maria Roosen und
Marcia Lyons. Alle diese Künstlerinnen setzten sich in ihrem Werk mit dem Busen auseinander.
Ute Thiel zeigt mit ihren Skulpturen weniger Variationen eines Themas als vielmehr die Faszinationen an einem Spannungsfeld. Die Spannung entsteht durch die Direktheit der anatomischen Reduktion und die Übertragung auf verschiedene sinnliche Gehalte. Die Ausstellung "Busenwunder" bietet Ihnen einen Einblick in die jetzige formalthematisch gebundene Schaffensphase der Künstlerin, die seit etwa einem Jahr an diesen Skulpturen arbeitet.
Daraus entsteht eine - wie ich finde - unbefangene Direktheit und Frische in der Übersicht der Arbeiten. Eine andere Ausstellung mit ausgewählten Arbeiten der Künstlerin aus den letzten zehn Jahren wird zur Zeit im Wiesbadener Frauenmuseum gezeigt. Ich möchte Sie nun herzlich einladen, sich einen Einblick über die derzeitige Arbeit der Künstlerin zu verschaffen!
Eröffnungsrede zur Ausstellung "Busenwunder", 7. - 22. April 2001
von Frithjof Schwartz, Mainz
Ein "Busenwunder"
Arbeiten von Ute Thiel in der Schmiede Wettig
Die türkische Schneiderin hat nicht schlecht gestaunt. Der Auftrag war allerdings auch ungewöhnlich: Aus schwarzem Stoff sollte sie nach Schnittmuster zwei riesige, zimmerhohe Taschen nähen, mit langen Reißverschlüssen. Jetzt hängen die beiden Gebilde an einem Deckenbalken der Schmiede Wettig in Nieder-Olm. Sie sind mit dicken Gymnastikbällen im Inneren beschwert. Und wer die schwarzen Säcke bewegt, hört ihn, den "Großen Plopp", der sich schon im Titel der Arbeit von Ute Thiel ankündigt.
Das Interaktive ist den Plastiken der 1961 in Saarbrücken geborenen, an der Mainzer Universität ausgebildeten und heute in Wiesbaden lebenden Künstlerin eigen. Wer ihre Werke aus den letzten zehn Jahren betrachtet zur Zeit unter dem Titel "Körperschmeichlerinnen" im Wiesbadener Frauenmuseum zu sehen findet dieses spielerische Moment immer wieder: In den knallig-bunten, langgezogenen Frauenskulpturen, in den großen Liegenden, die mit ihrem Stoffbezug dazu einladen, sich auf ihnen niederzulassen. In Nieder-Olm sind nun die neuesten Arbeiten von Ute Thiel zu sehen unter dem 50-er-Jahre-Filmstar-Titel "Busenwunder".
Die vom Körper isolierten Brüste, die Ute Thiel in Materialvielfalt präsentiert, entwickeln ganz neue Zusammenhänge. Entwickelt haben sie sich aus ihren früheren, archaischen Idolen nicht unähnlichen Arbeiten mit ihren verknoteten, weiblichen Gliedmaßen. Jetzt entwickeln sie ein selbstbewusstes Eigenleben: Als "Busenvase", "Busenkreisel", auch als phallisches "Busenzepter" das Ute Thiel als freundliches Herrschaftszeichen verstanden wissen will.
Da ruht eine zur Kürbisform verwachsene Ansammlung an Brüsten wie bei der vielbrüstigen Artemis von Ephesos auf einem Kissen; da prangen zwei andere in einem Metallnetz wie griechische Amphoren als Fang eines Fischers; zwei dralle Kugeln sind in rosa Taschen "prêt à porter" und über allem baumelt ein zusammengenähter Bikini als "Bienenrucksack". Im sinnlichen Spiel mit der besetzten Urform wird der Busen in den Terrakotten von Ute Thiel neu definiert, zu einer vegetabilen Blüte, zu einem zackigen Zahn, zu einem Lederbeutel. So entstehen assoziative, phantasievolle Variationen eines "Busenwunders".
Bis 22.4.; Sa. u. So. 15-18 Uhr
Mainzer Allgemeine Zeitung, 10.04.2001
von Birgitta Melten