Du bist schön.
Im Juni 2018 ist ein Jahr vergangen, seit zwei von mir sehr geschätzte aber sehr verschiedene "alte" Frauen starben. Eine davon war bis zuletzt meine unmittelbare Nachbarin in meinem Haus an der Mosel. Ella wurde 89 und starb im letzten Sommer. Seitdem verändert sich das altherbrachte Schöne, was durch sie Zeit meines Lebens Bestand hatte, rapide.
Auch die zweite Freundin vermisse ich - obwohl wir uns nicht oft getroffen haben. Wir kannten uns aus dem Zen mit unserer gemeinsamen Lehrerin. Meine Erinnerungen an sie sind geprägt von sehr speziellen Momenten in unser beider Leben.
Als ich anfing im Sesshin zu kochen, war sie in einem Sommersesshin im Jura meine Assistentin. Ich hatte grosses Glück damit dass eine erfahrene Ältere bereit war, mir zu assistieren. In Erinnerung bleibt vor allem der Moment, wo ich meinem Anspruch, auf den Punkt genau fertig zu sein zwar entsprach - aber niemand kam, um das Essen abzuholen.
Ich hatte übersehen, dass "circle" war - eine Gesprächsrunde, in der jedeR in geschützem Rahmen - im Kreis - sprechen kann. Der Koch, die Köchin (die ja anderweitig verantwortlich beschäftigt ist) hat das Vorrecht, als ersteR zu sprechen, damit sie / er dann wieder in die Küche kann.
Mir hatte allerdings niemand Bescheid gesagt (wahrscheinlich weil alle dachten, dass ich - wie immer - alles weiss und nicht benachrichtigt werden muss). Ich aber war so wütend dass ich sagte: Für diese Pack werde ich nie mehr kochen. Mioyji sagte: "you crazy woman", zündete ein Räucherstäbchen an, reichte es mir und wir verbeugten uns gemeinsam vor dem Altar.
Ja, auch in der Küche steht ein Altar im Sesshin: Essen bereiten ist wichtig für die Praxis - ohne Körper geht gar nichts. Deshalb ist der Koch im Zen die zweitwichtigste Person nach dem Lehrer. Ich habe mir den Job oft angemasst - weil ich wirklich gerne für viele koche. Und natürlich habe ich nach dem Moment mit Myoji weiter gekocht. Für die, die ich manchmal wenn ich wütend bin, weil es nicht so funktioniert wie ich perfekt geplant und vorbereitet habe, beschimpfe.
"Greed, anger and ignorance" sind die "Charakterfehler", die uns laut Buddha das Leben schwermachen. "Anger" ist wahrscheinlich mein dickster. Es heisst, Wut sei in "spiegelgleiche Weisheit" transformierbar. Ob ich es vor 2025 schaffe? Ich sehe es noch nicht. Wenn es jemals klappt, verdanke ich es auch Myoji, die so weise reagierte auf den Wutanfall damals.
Dass sie schwer krank war, wusste ich zwar - aber sie war auch eine von jenen alterslosen Persönlichkeiten, die ich naiverweise immer noch für unsterblich halte. Eine Frau, die uns 2009 - mit fast 70 - die in der Jugend gelernten Tempeltänze ihrer indonesischen Heimat vorführte. Ich machte damals ein - leider unscharfes - Foto, als sie für ihren Auftritt übte.
Ich beginne mit den Porträts dieser beiden Frauen ein neues Kapitel auf dieser Web-Site: Porträts von Menschen. Das ist ein Thema, was ich schon seit meiner Jugend und nun seit längerem unter einem bestimmten Aspekt verfolge. Der Aspekt wurde 2004 auf den Punkt gebracht durch ein damals kleines Mädchen, was mir beim Tischdecken zusah. Sie sagte einfach "Du bist schön" zu mir.
Ich sehe das nicht anders als Noemi damals. Es passt in meinen Augen auf jedeN, den oder die ich ins Auge fasse und - wenn ich darf - im Foto festhalte. Manche davon bringe ich vorher zum Lachen.
Ute Thiel
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Ute Thiel |
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